Laudatio Abbas Kiarostami
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Botschafter, lieber Abbas Kiarostami,
ich möchte Sie ganz herzlich hier in der Akademie der Künste zur Verleihung des Konrad Wolf Preises im Jahr 2003 begrüßen.
Die Jury, Barbara Klemm, Hans Helmut Prinzler und ich, verleiht den Preis in diesem Jahr an den iranischen Regisseur Abbas Kiarostami. Die Entscheidung war übrigens einstimmig.
Vor fünfzehn Jahren zeigt mir Karl Baumgärtner, mein Verleiher, einen Film, den er in Teheran gekauft hatte, von einem Regisseur, dessen Namen ich noch nie gehört hatte: »Wo ist das Haus meines Freundes«. Mir erschien der Film nahezu vollkommen, von tiefer Humanität geprägt, gespielt mit einer umwerfenden Natürlichkeit (der Hauptdarsteller war sieben Jahre alt), von einer vollendeten Form.
Erzählt wird eine ganz einfache Geschichte: ein Junge aus der zweiten Grundschulklasse will seinem Freund und Cousin ein Schulheft bringen, das er versehentlich eingesteckt hat. In dieser ganz einfachen Fabel steckt eine ganze Welt, und mit diesem einen Film (dem viele weitere folgen sollten) tat sich für mich nicht nur ein neues Land auf, sondern ein ganzer Kontinent. Und so einfach diese Filme daher kommen, so raffiniert reflektieren sie die Mittel, die dem Kino heute zur Verfügung stehen.
Es gibt in der eigenen Arbeit immer wieder Momente, in denen man verzweifelt. Da hilft nur eines: sich einen sehr guten, wenn möglich einen großen Film anschauen.
Nach dieser Atempause schöpft man Mut, und kann sich wieder den eigenen, kleinen und großen Problemen widmen. Ich kann Ihnen nur versichern, ich habe mir in den letzten zehn Jahren häufig Filme von Abbas angeschaut, und sie haben mich aus mancher Not gerettet, und mich in manchem Moment, der aussichtslos schien, motiviert, die Reise mit meinem eigenen Film fortzusetzen.
»Wenn die Kunst den Künstler überhaupt etwas lehrt«, schreibt der Lyriker Joseph Brodsky, dann ist es die Privatheit der menschlichen Existenz. Als älteste Form der Privatinitiative fördert sie in jedem Menschen, wissentlich oder unwissentlich, das Bewußtsein seiner Einzigartigkeit, seiner Individualität und Einsamkeit und verwandelt ihn so von einem sozialen Lebewesen in ein empfindsames Ich. Viele Dinge können geteilt werden: ein Bett, ein Stück Brot, Überzeugungen, eine Geliebte, aber nicht ein Gedicht von, sagen wir, Rainer Maria Rilke.« Oder ein Film von Abbas Kiarostami. Denn als Gattungsbezeichnung seiner Filme würde ich nicht Kino nennen, sondern Poesie. Und auch sie sind, wie alle poetischen Werke, nicht teilbar, auch wenn wir gleichzeitig und gemeinsam im Kino sitzen. Für mich sind sie – Gedichte.
Abbas Kiarostami dreht nicht nur Filme, er schreibt auch Gedichte. Gedichte, die an japanische Haikus erinnern. Ich möchte Ihnen drei davon vorlesen, aus der sehr schönen, ins französische übersetzen Sammlung »Avec le Vent«:
Zehn mal
schließt
und öffnet
der Wind
mit Lärm
eine alte Tür.
Entschuldigt und vergeßt
meine Fehler
aber nur in dem Maße,
wie ich sie selbst
für immer vergesse.
Ich habe ständig
Verabredungen
mit jemanden, der nicht kommt,
sein Name ist nicht mehr
in meiner Erinnerung.
Und nun möchte ich Wolfram Schütte bitten, seine Laudatio zu halten.